Bild von Wilgard für meine Kurzgeschichte
Kurzgeschichten

…denn der Wind hat keine Eile

Einige im Dorf behaupteten, es sei der Geist eines Mannes. Andere glaubten, dass fehlende Liebe im Kindesalter die Ursache allen Übels wäre. Die Frauen aber, nannten sie Willgard.

Dieses Wesen, das ziellos die tiefsten Wälder und höchsten Berge heimsuchte, Wanderer zu Tode erschreckte und verirrten Seelen im Wald den Weg wies. Gegen eine Gebühr, natürlich.

Joaquin Fryer glaubte nicht an solche Geschichten und schon gar nicht an Geister, die sich wie Psychopathen aufführten. Er hockte vor seiner Berghütte, unterhalb der Koniferen. Die Blaubeeren in diesem Jahr wuchsen prächtig. Hin und wieder steckte er eine besonders groß gewachsene Beere in den Mund, legte die anderen in den Korb und freute sich auf den kommenden Kuchen.    

Hier oben, dicht an der Waldgrenze, lag sein Zuhause. Hinter dem Haus entsprang eine Quelle aus dem Inneren des Berges, die einen Bach mit Wasser versorgte. Der naheliegende See mit seiner spiegelnden Wasseroberfläche in Himmelsfarben war Gegenstand zahlreicher Ablichtungen. Ein Platz, an dem selbst der Wind für einen Moment Ruhe fand.

Vom Wanderweg nebenan ertönten Stimmen. Joaquin schaute hoch und grinste.

»Was macht ein ehemaliger Staatsbeamter und die älteste Dorfschönheit allein im Wald?«

Die alte Frau kam zu ihm gelaufen. Joaquin konnte die Anspannung in ihrem gebrechlichen Körper spüren während sie ihn umarmte. Lennart blieb stehen und wartete dezent im Hintergrund.

»Ich bin erst vierundsiebzig«, lachte sie und nahm ihm den Korb ab. »Für einen richtigen Kuchen brauchen wir aber mehr.« Ihr Blick begutachtete die blauen Flecken in seinem Gesicht.

»So warst du schon als kleiner Junge«, sagte sie und verschwand in der Hütte. Lennart kam näher. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände.

»Venera und Jarn sind in die Berge gegangen, zu den Höhlen, zusammen mit Juli«, erklärte er, ohne Atempause. »Vor drei Tagen sind sie aufgebrochen und wollten am selben Tag zurückkommen.«

»Unterhalb von den Felsvorsprüngen, dem heiligen Ort?«

»Das war falsch, ich weiß.« Lennart zuckte mit den Schultern. »Junge Leute, du weißt doch. Müssen sich beweisen.«

Joaquin atmete tief aus. »Diesmal könnte sie das ihr Leben kosten.«

»Deshalb bin ich hier«, sagte Lennart. »Die Behörden kommen nicht voran. Du kennst diese Wälder und bist ehrlich gesagt der Beste.«

Die Tür zur Hütte ging auf und die alte Frau trat heraus. Sie trug eine Schürze.

»Da ist noch was anderes.« Sie sah auf ihre Füße. »Jarn war beim Kliff, über den Höhlen, am Tag vorher.«

In ihrer Stimme klang Verzweiflung mit.

»Das alles nur wegen dieser Blumen zu meinem Geburtstag. Gehst du dorthin?«

Joaquin schwieg und schaute zu Lennart. Das Thema war ihm unangenehm. Er nannte es immer die familiären Altlasten. Was konnte er denn dafür, dass seine Mutter einer von denen ähnelte? Während seiner Kindheit hatte er nie etwas bemerkt. Später dann, an der Schwelle zum Erwachsenen, warnte sie ihn manchmal, bevor er und seine Freunde loszogen, das Leben zu erkunden.

»Steigt nicht in den Bus«, beschwörte sie ihn an jenem Tag. »Schreckliches wird passieren.«

Am nächsten Tag wurde aus Angst grauenvolle Gewissheit. Alle fünfzehn Passagiere verbrannten während eines Unfalls. Seit dieser Zeit stellte er die Warnungen seiner Mitter nie wieder in Frage. Die alte Frau legte eine Hand auf seinen Arm.

»Jeder weiß, du stammst von ihnen ab. Die Willgard ist deine Großmutter. Finde die Kinder, nur du kannst es.«

»Niemand von meiner Familie lebt noch«, erwiderte Joaquin harsch. »Außerdem kann ich nichts vorausahnen oder fühlen.«

Lennart lenkte ein.

»Das hat auch keiner behauptet. Nur Frauen sind dazu in der Lage. Das sagten ja schon die alten Römer. Tacitus schrieb, die Riesin Angurboda sei eine Völva… «

»Meine Mutter war keine Seherin oder Zauberin, nur eine Frau die sich Sorgen um ihr Kind machte. Belassen wir es dabei.«

Joaquin tätschelte die Hand der alten Frau.

»Ich finde deine Enkel, versprochen. Aber meine Mittel sind zeitgemäß und bitte, keine mythischen Spekulationen mehr.«

 Beide nickten. Lennart ging zur Veranda und nahm Platz. »In Ordnung, also nur Fakten. Die stammen aus meinen Quellen.«

Er zog ein Notizbuch aus seiner Hosentasche und las vor.

»Letztes Jahr, Mädchen verschwunden, der Junge halb verkohlt. Im Winter der gleiche Mist. Diesmal war es ein Waisenjunge mit einem Feuermal im Gesicht.«

Lennart klappte das Heftchen wieder zusammen.

»Soll ich weiterlesen? Es gibt noch mehr. Das alles klingt nach Serienmord, nicht wahr?«

»Oder ein Irrer spielt Waldgeist. Was gibt es noch?«

Joaquin wusch sich die Hände und das Gesicht im aufgesammelten Wasser einer Metalltonne. Die blauen Flecken verblassten, verschwanden aber nicht.

»Das Mädchen haben sie nie gefunden«, ergänzte Lennart. »Das verkohlte Fleisch stammt vom Sohn eines ranghohen Politikers und dann noch das Pärchen, vom Erdboden verschluckt. Die Presse tobt und macht Druck.«

Joaquin trocknete sein Gesicht und seine Hände.

»Ich hätte damals nicht so lange gewartet. Morgen früh, vor Sonnenaufgang ziehe ich los und finde, was auch immer es ist.«

Der Wind, der um die Bäume fegte, ließ ihn erschaudern. Er fragte sich, ob das Gemurmel wieder einmal mit dem Gespür seines Vaters zu tun hatte, ein Sinn für die Anwesenheit eines Anderen.

Die Spuren der Enkel zu finden war leicht gewesen. Vor einigen Stunden fand Joaquin die Fußspuren von Venera und Jarn. Abstand und Winkel besagten, dass die beiden befreundet, aber kein Paar waren. Was vor allem seine Aufmerksamkeit erregte, waren die Abtritte eines Dritten, die ihnen folgten. Sie stammten von einem Mann. Angesichts des Gewichts, des Gangs, der glatten Sohle und der Rundung am Zeh musste es sich um einen handgearbeiteten Schaftstiefel handeln. Die allerdings, wurden nur von einigen wenigen in der Gegend getragen.

Joaquins Sinne liefen auf Hochtouren. Rundherum ragten Felsgesichter mit ihren Höhlen auf. Der weiche Boden vor ihm zeigte Schleifspuren. Etwas von Menschen gemachtes fiel in seinen Blickwinkel, ein Fetzen Stoff auf dem Erdboden, kaum erkennbar zwischen den Bäumen. Er holte tief Luft und atmete den merkwürdigen Geruch ein, Schmorfleisch untermahlt mit verbranntem Metall. Joaquin blieb stehen, bewegte sich nicht, schaute und lauschte nur.

Leise schlich er weiter und wiederholte die Übung mehrmals. Das Gespür, das ihm sein Vater gelehrt hatte, verwirrte ihn trotzdem. Aber er verwarf die Irritationen und erreichte gefühlte Stunden später, das Lager.

Als Erstes sah er die verkohlten Überreste von Jarn. Joaquin wollte nicht daran denken, wie die letzten Augenblicke dieses Menschen auf Erden wohl ausgesehen haben mussten. Er suchte nach Spuren von Venera und stellte sich vor, welches Entsetzten sie ergriffen haben musste. Wut stieg in ihm auf und ließ ihn umso entschlossener reagieren. Joaquin untersuchte die Feuerstelle, an der Jarn lag. Der Tiefe der Asche nach zu urteilen war die Leiche vor vielleicht fünf Stunden verbrannt worden. Er wusste, was zu tun war.

Er trat von der Feuerstelle zurück und sah sich um. Das Versteck des Mörders entdeckte er schnell, es lag nahe am Fluss. An einem Baumstamm lehnte eine Angel, vermutlich die von Jarn. Sorgfältig betrachtete er die Abdrücke am Boden. Jemand der ungeduldig hin und her gehastet war, hinterließ zahllose Abdrücke. Das hätten auch zwei erwachsene Männer sein können. Es fehlten allerdings die Abdrücke der beiden Mädchen. Vor allem von Juli mit ihren speziellen Absätzen war nirgends eine Spur zu sehen.

Sein Blick fiel auf etwas Spitzes, einen Splitter. Nein, nur ein Stück Pistazie.

Er ging zurück zum Lager und suchte nach Anzeichen für einen Kampf oder eine Stelle, an der die Mädchen möglicherweise angebunden waren, aber er fand nichts dergleichen. Am Fuß des Felsens entdeckte Joaquin Blut. Jarn musste demnach heruntergefallen sein und wurde anschließend gebraten, wie der Junge mit dem Feuermal. Lebte Jarn zu diesem Zeitpunkt noch?

Das Gespür seines Vaters für die Anwesenheit eines anderen ließ ihn nicht los. Dagegen stand seine wissenschaftliche Ausbildung. Sie hatte ihn gelehrt, dass Aberglaube zu nichts führte. Joaquin begann das Lager zu umrunden und fand Spuren, die von dort wegführten. Zwischen Büschen versteckt flatterte ein Stück einer Karte. Daneben lag das angerissene Papierphoto einer Frau. Es war Juli.

Joaquin schloss daraus, der Mörder musste gewusst haben, dass die beiden Mädchen und Jarn genau an diese Stelle kommen würden. Außerdem lag das Foto offen herum. Kannte der Mörder ihn und seine Vorgehensweise?  

Er hielt seine Gefühle in Schach, fingerte eine halbautomatische Ruger Kaliber 22 aus dem Rucksack und kauerte am Boden. Da war jemand. Da musste jemand sein. Joaquin vertraute diesmal mehr seinem Gespür.  

Der plötzliche Schmerz jagte durch Rücken, Schulter und Arm. Er konnte nur noch stoßweise atmen, der Schmerz bohrte in seinen Schädel. Links von seinem Kinn, trat ein Armbrustbolzen hervor. Er war von hintern eingedrungen und war dann gleich oberhalb des Schlüsselbeins wieder ausgetreten.

Fluchtartig versuchte Joaquin wegzukriechen, raus aus der Gefahrenzone, hin zu einem dicht gewachsenen Busch. Er löste seinen Gürtel und wickelte ihn als ledernen Schutz um die Hand. Dann griff er nach oben zu der messerscharfen Klinge des Pfeils, legte das Gürtelleder um die untere Spitze und zog ihn mit einem Ruck heraus.

Joaquin lag auf dem Rücken, die Ruger im Griff und kämpfte gegen die Ohnmacht. Der Schmerz erschien ihm unmenschlich. Seine Gedanken kreisten um das Gespräch mit der alten Frau am Tag vorher. Angst kroch in ihm hoch, schnürte die Kehle zu, das Sonnenlicht entschwand. Über ihm verdunkelte sich die Wahrnehmung.  

»Großmutter?« Joaquins Stimme flehte.

»Ja, mein Junge, ich bin hier.«

Die Stimme schien aus dem Nichts zu kommen. Joaquin folgte ihrem Klang. Angestrengt schaute er nach oben und versuchte den trüben Nebel mit seinem Blick zu durchbrechen.

»Sterbe ich jetzt?«  

»Das lasse ich nicht zu.«

Joaquin sah in das Gesicht seiner Großmutter. Er sah es klar und deutlich. Ihre gütigen Augen ruhten auf ihm.

»Sie nennen dich Willgard. Bist du wirklich eine Völva?«

»Manchmal weißt du, ohne dabei zu denken und zu sehen.«

»Was bedeutet das?«

»Zu wissen heißt zu verstehen. Schau ins Licht mein Junge.«

Joaquin folgte den Worten seiner Großmutter. Die Helligkeit tat gut. Der Schmerz verebbte.

»Großmutter, ich muss Hinweise suchen. Der Mörder ist hier.«

Joaquin versuchte sich aufzurichten. Irgendetwas hielt ihn fest am Boden.

»Weißt du wo die Mädchen sind?«

»Such nach der Fährte, lass die Erde sprechen.«

Die Stimme seiner Großmutter machte ihm Mut. Kraft strömte zurück in seinen Körper. Lediglich diese atemlose Stille verwunderte ihn. Kein Laut, kein Rauschen, nichts war zu hören.

»Großmutter, bitte bleib.«

»Besuch mich am heiligen Ort, wann immer du willst.«

Ihn erfasste eine grenzenlose Müdigkeit, langsam aber stetig.

»Ich hab dich lieb.«

Joaquin schloss die Augen und fühlte wie der Wind langsam über sein Gesicht glitt, ohne Eile, ohne Hast.

»Es gibt so viele Fragen.«

»In der Dunkelheit wirst du sie finden«, sagte die Stimme abschließend. »Einen Mann macht aus was er liebt.«

Joaquin streckte die Hände hoch und versuchte verzweifelt das Gesicht seiner Großmutter zu berühren.

Der Wind pfiff. Schmerz kehrte zurück. Er fühlte die Ruger in seiner Hand und verfluchte seine arglose Schnüffelei im Lager. Sein Gehirn arbeitete wieder. Plötzlich wurde ihm einiges klar. Die Worte seiner Großmutter hallten wie Donner in ihm nach. Das waren alles nur platzierte Köder. Das Bild von Juli, der Kartenfetzen, die Angel. Alles nur eine Finte. Die angebliche Folter, nach dem Tod von Jarn in Szene gesetzt, um abzulenken. Die vielen unnatürlichen Schleifspuren und Fußabdrücke im Lager. Alles nur bewusst inszeniert.

Er hörte das Echo von Hundegebell und kroch an den Rand des Bauchlaufs. Direkt vor ihm sah er es, weißes Pulver. Es hing an den Büschen in kleinen Stofftüten, geschickt platziert. Auf dem Boden fand er nichts.

Er hörte die Hunde näherkommen. Bluthunde, die fürchterlich jaulten. Joaquin stand auf und erklomm einen kleinen Hügel. Den Hunden folgten Männer. Die Meute blieb stehen und er bemerkte, dass die Hunde aufgeregt in den Büschen wühlten. Offensichtlich hatten sie Witterung aufgenommen. Dieses Pulver diente nur also nur dem einen Zweck. Jemand der im Lager suchte, sollte von den Hunden angegriffen und zerfleischt werden.

Joaquin kletterte weiter die Felsen hinauf. Er suchte den schmalen Fußweg zur größten Höhle, dem heiligen Ort.

Damals, im Kindesalter, rannten sie die schmalen Abhänge mit Leichtigkeit entlang, beseelt von Phantasie und bereit, jederzeit den Schatz zu finden. Das sich niemand den Hals brach oder anderweitig verletzt wurde, grenzte schon damals an ein Wunder. Am Tag vorher, Großvater las ihnen die Geschichte der verschollenen Goldmünzen vor, stürmten sie los. Seine Mutter sagte nichts zu all dem, sie lächelte nur geheimnisvoll.

  Joaquin schnaufte. Mit eisernem Willen setzte er einen Fuß vor den anderen, die Ruger griffbereit, sofort zu schießen. Die Felsvorsprünge machten ihm zu schaffen. Dafür würde es diesmal keinen feigen Angriff aus dem Hinterhalt geben. Schmerzen verspürte er seltsamerweise nicht, sogar die Blutung der Wunde machte keine Probleme. Trotz allem, der Wind ließ ihn erschaudern. Das Gemurmel, Zischen, das leichte Kreischen, das um die Felsen fegte, erinnerten ihn immer wieder an Großmutter und die Geschichten über sie. Es wäre ein leichtes, diese ganze Atmosphäre auch Übersinnlichem zuzuordnen.

Joaquin setzte sich. Seine Beine verweigerten jegliche weitere Belastung. Er atmete schwer.

»Brauchst du Hilfe mein Junge?«

»Großmutter.«

Joaquin stützte seinen Kopf mit den Händen ab.

»Ich muss zur Haupthöhle. Die Mädchen…schweben in Lebensgefahr.«

»Du musst essen.«

»Hier oben wächst nichts außer Disteln.«

Sie wies mit der Hand auf schief stehendes Gestrüpp.

»Iss und du rettest meine Kinder.«

»Großmutter«, Joaquin fasste nach dem Arm vor ihm. »Ich kann sie sehen, die Mädchen, sie sind da…«

Lennart antwortete nicht. Die anderen Anwesenden in dem Raum schwiegen betroffen. Er tätschelte die Wange seines Freundes und rutschte unruhig an der Bettkante hin und her. Tränen standen in seinen Augen. Hilfesuchend blickte er den Arzt an.

»Er darf nicht sterben. Bitte tun sie was.«

Der Arzt legte ihm in einer väterlichen Geste die Hand auf die Schulter.

»Er nimmt unsere Welt nicht zur Kenntnis und phantasiert.«

Lennart schaute zu seinem Freund.

»Versteht er mich?«

»Wahrscheinlich.« Der Arzt gab der Krankenschwester ein Zeichen. Sie ordnete Unterlagen und öffnete die Tür.

»Was ihr ehemaliger Kollege geleistet hat, verdient allerhöchsten Respekt«, sagte er. »Bei den Verletzungen…«

»Ich dachte, da wäre nur die eine in der Schulter«, erwiderte Lennart überrascht.

»Wir haben insgesamt drei Pfeile aus seinem Körper entfernt.«

Der Arzt nickte ihm zu.

»Mehr konnten wir nicht tun. Herr Fryer ist körperlich zurzeit stabil.«

»Was ist mit dem Pulver. Hat sich mein Verdacht auf Anthrax bestätigt?«

»Leider«, antwortete der Arzt. »Es hat Hautmilzbrand ausgelöst. Interessanterweise hat dieses zerkaute Diestel Kraut in seinem Magen sein Leben beschützt.«

»Wie das?«

»Wir haben Reste im Verdauungstrakt von hochangereicherten Antibiotika gefunden.«

»Was ist mit den anderen beiden?«

»Wurden operiert. Die Schusswunden waren nicht lebensbedrohend. Ihr Kollege hat sehr präzise geschossen.«  

Lennart dankte dem Arzt. Die Tür des Krankenhauszimmers schnappte ein. Er nahm die Hand seines Freundes und drückte sie aufmunternd.

»Joaquin, hörst du mich?« Er beugte sich vor. »Die Mädchen leben. Werd wach verdammt nochmal.«

Tags darauf kam Lennart in Begleitung der alten Frau. Sie wollte sich persönlich für die Rettung ihrer Enkel bedanken und brachte Tee mit. Nicht irgendeine Sorte wie sie betonte, es handele sich um eine spezielle Mischung von Kräutern der Dorfältesten. Lennart schüttelte den Kopf:

»Das ist reinster Aberglaube. Wir sind hier in einem Krankenhaus mit moderner Medizin.«

»Ein paar Tropfen nur reichen«, antwortete die alte Frau und benetzte die Lippen von Joaquin. Sie tat das in regelmäßigen Abständen. Abends dann, kurz vor dem offiziellen Besuchsende, passierte es. Joaquin kam wieder zu Bewusstsein. Er schlug die Augen auf. Lennart erzählte ihm aufgeregt, was passiert war.

»Großmutter begleitete mich die ganze Zeit«, berichtete Joaquin. »Nur Ihretwegen bin ich noch am Leben.«

Die alte Frau sagte nichts und sah zu Lennart. Auch er schwieg. Dann schließlich fragte sie.

»Glaubst du jetzt, dass unerklärbare Kräfte in bestimmten Menschen wirksam sind?«

»Ich habe mich entschieden«, sagte Joaquin. »Ja, ich bin überzeugt davon.« Und dann schloss er die Augen.

»Lasst mich etwas ruhen«, bat er die beiden. »Wie sehen uns morgen.«

Die alte Frau zupfte die Bettdecke zurecht und lächelte. Sie legte eine Münze aus römischen Zeiten in seine Hand.

»Grüß die Willgard. Das ist der vereinbarte Preis, denn ab jetzt hat der Wind in deinem Leben keine Eile mehr.«